Gedichte von Erich Fried   (1921 - 1988)

 

Wirklich auf Erich Fried aufmerksam wurde ich erst vor einigen Wochen. Ich schreibe "wirklich", weil ich einiges
von ihm zwar kannte, die Texte aber nicht diesem Autor zuordnen konnte.
Jetzt bin ich "hin und weg" von seinen Gedichten - ich halte gerade "Es ist was es ist" in den Händen
.. aber genießt selbst.

 

Meine Wahl

Gesetzt
ich verliere dich
und dann habe ich zu entscheiden
ob ich dich noch einmal sehe und ich weiß:

Das nächste Mal bringst du mir
zehn Mal mehr Unglück und zehnmal weniger Glück

Was würde ich wählen?

Ich wäre sinnlos vor Glück dich wiederzusehen.

 

Nur nicht

Das Leben
wäre
vielleicht einfacher
wenn ich dich
gar nicht getroffen hätte.

Weniger Trauer
jedes Mal
wenn wir uns trennen müssen
weniger Angst
vor der nächsten
und übernächsten Trennung.

Und auch nicht soviel
von dieser machtlosen Sehnsucht
wenn du nicht da bist
die nur das Unmögliche will
und das sofort
im nächsten Augenblick
und die dann
weil es nicht sein kann
betroffen ist
und schwer atmet.

Das Leben
wäre vielleicht
einfacher
wenn ich dich
nicht getroffen hätte
Es wäre nur nicht
mein L
eben.

Meer


Wenn man ans Meer kommt
soll man zu schweigen beginnen
bei den letzten Grashalmen
soll man den Faden verlieren

und den Salzschaum
und das Scharfe zischen des Windes
einatmen
und ausatmen
und wieder einatmen

wenn man den Sand sägen hört
und das Schlurfen der kleinen Steine
in langen Wellen
soll man aufhören zu sollen
und nichts mehr wollen wollen
nur Meer

nur Meer

 

 

Auch was
auf der Hand liegt
muss ich
aus der Hand zu geben
bereit sein.

und muss wissen
wenn ich liebe
dass es wirklich
die Liebe zu Dir ist
und nicht nur
die Liebe zur Liebe zu Dir
und dass ich nicht
eigentlich
etwas Uneigentliches will.


Aber
solange ich atme
will ich
wenn ich den Atem
anhalte
Deinen Atem
noch spüren
in mir.

 

Bei dir sein wollen

Bei dir sein wollen
Mitten aus dem was man tut
weg sein wollen
bei dir verschwunden sein.
Nichts als bei dir
näher als Hand an Hand
enger als Mund an Mund
bei dir sein wollen.
In dir zärtlich zu dir sein
dich küssen von außen
und dich streicheln von innen
so und so und auch anders.
Und dich einatmen wollen
immer nur einatmen wollen
tiefer tiefer
und ohne ausatmen trinken.
Aber zwischendurch Abstand suchen
um dich sehen zu können
aus ein zwei Handbreit Entfernung
und dann dich weiterküssen.

 


Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

 

 

Du


Wo keine Freiheit ist
Bist du die Freiheit
Wo keine Wuerde ist
Bist du die Wuerde
Wo keine Waerme ist
Keine Naehe von Mensch zu Mensch
Bist du die Naehe und die Waerme
Herz der herzlosen Welt
Deine Lippen und deine Zunge
Sind Fragen und Antworten
In deinen Armen und deinem Schoss
Ist etwas wie Ruhe
Jedes Fortgehenmuessen von dir
Geht zu auf das Wiederkommen
Du bist ein Anfang der Zukunft
Herz der herzlosen Welt
Du bist kein Glaubensartikel
Und keine Philosophie
Keine Vorschrift und kein Besitz
An den man sich klammert
Du bist ein lebender Mensch
Du bist eine Frau
Und kannst irren und zweifeln und gutsein
Herz der herzlosen Welt